Besuch im nördlichen Shan-Staat
Projektreise 2019
09.02.2019
Seit Ende Januar bin ich zu Besuch in Myanmar/Burma. Between-Borders betreibt oder unzerstützt zur Zeit keine Programme in Myanmar selbst. Die Menschen, die von Ihren Spenden in between-borders Projekten unterstützt werden sind allerdings alle nach Thailand emigriert bzw. geflohen, weil in ihrer Heimat seit nunmehr über 60 Jahren Bürgerkrieg ist und sie als Angehörige bestimmter Ethnien dort verfolgt werden bzw. ihrer Idendität beraubt werden. Sie sehen entweder keine Zukunft für sich und ihre Familien oder fliehen direkt vor Gewalt. Wir haben viele Jahre in verschiedenen IDP (internally displaced people) Camps im südlichen Shan Staat, an der Grenze zu Thailand gearbeitet und die Region mehrmals im Jahr besucht. Um zu verstehen, warum so viele Menschen weiterhin auf der Flucht im Shan-Staat sind, muß man allerdings auch und vor allem die Situation im Norden betrachten.
Ich bekomme als erster Ausländer die Chance nach Wan Hei zu fahren (wird mir gesagt. ob das so ist weiss ich nicht)., einem Ort ca. 2 Autostunden südlich der Stadt Lashio. Da für mich, als Ausländer aber absolutes Verbot besteht, diese Region, eine sogenannte ‚Schwarze Zone‘ zu bereisen, nehmen wir einen Umweg von 6 Stunden in Kauf um die burmesischen Checkpoints zu umgehen. Während dieser Zeit darf ich das Auto nicht verlassen, nicht gesehen werden. Meine Begleiter riskieren ihr Leben. Werden wir gestoppt, erschießt man sie. Das erfahre ich allerdings erst, als wir schon unterwegs sind. Ob ich mich ins Auto gesetzt hätte, wenn ich dies vorher gewusst hätte, glaube ich nicht. Mir würde im schlimmsten Fall Gefängniss und der baldige Rauswurf aus Myanmar drohen.
Wan Hei ist von 4 Divisionen der Tadmadaw (burmesische Armee) umzingelt. Es ist Hauptquartier der 1. Brigade der SSPP/SSA-N (Shan State Progressive Party). Diese hat im Gegensatz zur südlichen SSA ein Waffenstillstandsabkommen mit den Tadmadaw nicht unterschrieben und befindet sich so in offenem Krieg mit der burmesischen Armee. Zusätzlich bekämpfen sich nun auch noch beide Shan State Armys und im Süden kommt es trotz Waffenstillstandsabkommen ebenfalls immer wieder zu Kämpfen mit den Burmesen. Ausserdem sind weitere Player beteiligt, wie z.B. die Armee der Palaung (TNLA). Zum besseren Verständniss der militärischen Gemengelage, hier ein link, der Situation im Shan Staat zu erklären versucht.
rUnser Thema sollen aber die Opfer diese Lage sein. Als ich in die Stadt Hsipaw, westlich von Lashio im nördlichen Shan Staat komme, freue ich mich auf einen Besuch bei unserer ehemaligen Hebamme aus dem IDP Camp Loi Kaw Wan und guten Freundin, Kham Saen. Wir müssen aber erfahren, daß ihr Dorf, etwas eine halbe Stunde vom touristisch recht regen Hsipaw gelegen, angegriffen wurde. Gestern, einen Tag bevor wir hier ankamen und die halbe Nacht dauerte der Angriff. Die Bewohner mußten in ein IDP Camp fliehen. Wir können sie dort nicht besuchen. Die burmesische Armee hat alles weiträumig abgeriegelt. Warum diese Angriffe? Meistens sind es Geschäftsinteressen bzw. chinesische oder burmesische Geschäftsleute wollen an das Land der Shan, da dies voller Bodenschätze ist bzw. landwirtschaftlich ausgebeutet werden kann.
In Wan Hai schlafe ich eine Nacht. Ich kann mir die Schule anschauen. Über 800 Kinder gehen hier zur Schule und eine zunehmende Zahl erreicht die Qualifikation für die Uni. 400 Kinder leben in 8 verschiedenen Baracken nach Alter und Geschlecht unterteilt. Dies sind größtenteils Kriegswaisen. Es stehen Prüfungen an und egal in welche der Baracken ich eintrete, alle sind konzentriert am Lernen. Die Lehrer/innen der Schule sind alle unverheiratet und schlafen bei den Kindern in den Baracken. Einer Gruppe von jeweils 10 Kindern ist ein Jugendlicher zugeteilt, der/die als Ansprechpartner, Streitschlichter etc. fungiert. Ich bin beeindruckt von diesen Kids. Viele haben schreckliche Dinge erlebt und sind traumatisiert. Eine Lehrerin erzählt, daß die Burmesen vor 2 Jahren einen Bergkamm direkt neben Wan Hei, 8 Tage lang aus der Luft bombartiert haben. Viele der Kinder die dies miterleben mussten, verschwinden nun bei jedem lauten Geräusch unter die Tische. Auch gibt es große Probleme mit aggressiven oder unkonzentrierten Kindern. Um bei den meisten ein Post Traumatisches Stress Syndrom zu diagnostizieren, muß man wohl kein Spezialist sein. Zusätzlich müssen wir wissen, daß für ein Kind pro Tag die Summe von nicht mal 0,50€ für Essen berechnet werden. Das macht es nicht besser. Mir ging es richtig schlecht bei dem Gedanken. Between-Borders kann hier leider wenig reißen da wir so klein sind. Ich habe darauf hingewiesen, daß man mit den Blättern des Moringhabusches, der hier auch wächst, fast alle Folgen von Mangelernährung ausgleichen kann und kam mir dabei blöd und altklug vor. Dazu gibt es allerdings mittlerweile internanationale Studien.
Eine lausig kalte Nacht verbringe ich zusammen mit 10 jungen Männern, die alle in der Administration oder als Lehrer tätig sind, in der großen Halle eines wunderschönen Holzhauses im Shanstil.
Morgens lerne ich dann die Teams kennen, die für die Ausbildung von Lehrkräften, für Bildung in Gesundheitsfragen, Landwirdschaft, frühkindlicher Entwicklung oder als Notfallteams in Fällen von Angriffen oder Unfällen durch Minenexplosionen zuständig sind. Sie nennen sich, passend zum hier üblichen Hang, alles und jedes abzukürzen: SSYCBC (Shan State Youth Capacity Building Center). Die SSA-N ging immerhin aus der kommunistischen Partei Burmas hervor, der CPB. Auch große Abkürzkünstler, die Kommunisten. Geleitet werden diese Teams von meinem Begleiter nach Wan Hei (den Namen möchte ich nicht nennen). Diese jungen Leute sind für mich Helden. Sie riskieren bei ihren Reisen in weit entlegene ländliche Regionen ihre Gesundheit, ihre Freiheit und letztlich ihr Leben. Um diese Regionen erreichen zu können, müssen sie durch Gebiet, dass von den Burmesen kontolliert wird. Sicher fühlen sie sich nur in Gebieten die unter Kontrolle einer der vielen ethnischen Rebellengruppen sind, wie sie mir sagen. Selbst wenn die SSA-N sich mit diesen Kämpfe liefert, denn sie sind keine Soldaten sondern in humanitärer Mission unterwegs. Dies wird, außer von den Tadmadaw, respektiert. Schliesslich leisten sie ihre Hilfe allen, unabhängig von Ethnie oder Religion. Auch hier bin wieder tief beeindruckt. Auf meine Frage danach, ob sie bei ihrer Arbeit Angst haben, sagen diese jungen Frauen und Männer klar „nein“.
In Wan Hei leben größtenteils Buddhisten. Aber auch Christen und einige Muslime gibt es hier. Hier leben Shan, Palaung und Chinesen zusammen. Es gibt keine ethnischen oder religiösen Reibereien wird mir auf meine Frage danach berichtet. Mitten in einem Kriegsgebiet höre ich hier immer wieder eines: Wir wollen unsere Kinder zur Liebe erziehen, nicht zur Rachsucht. Das, was ich in dieser kurzen Zeit sehe, bestätigt das.
Soldaten bekomme ich kaum zu Gesicht. Einige Bewaffnete patroullieren durch die Straßen, in denen es einen kleinen Markt, einige Läden (sogar einen Handyladen sehe ich) und Restaurants gibt. Alles macht den Eindruck eines friedlichen kleinen Ortes irgendwo in Burma. Aber ausnahmslos alle, die hier Leben, kennen kein Leben in Frieden.
Leider hat eine der Lehrerinnen ein Foto mit mir auf facebook gepostet und nun wissen die Burmesen Bescheid und bauen etliche Checkpoints auf, um uns zu kriegen. Ich muss ja noch zurück aus der Schwarzen Zone (hier darf auf alles geschossen werden) in die weiße Zone, in der sich Ausländer aufhalten dürfen. Gott sei Dank funktioniert der Buschfunk ausgezeichnet und aus allen Dörfern in der Gegend erfahren wir per Funk, wo der Weg ’sicher‘ ist. Es geht wieder stundenlang auf Staubpisten durch trockene Landschaft und völlig verarmte Shandörfer, die so, vor 200 Jahren genauso da hätten stehen können. Die Menschen, die ich sehe, muten ebenfalls an wie das Klischee aus einem uralten, längst von der Moderne verdrängten Burma. Nur der allgegenwärtige Müll stört hier nicht geringfügig.
Als wir schliesslich die asphaltierte Staraße nach Hsipaw erreichen, haben wir es geschafft und klatschen ab. Jetzt erst merke ich, wie angespannt wir alle waren, auch wenn wir ganz locker taten.
Was habe ich gelernt?:
Im Shan Staat herrscht Krieg. Beteiligt sind etliche Parteien. An der Bevölkerung der Region mit ihrer uralten Kultur haben die großen Player und Brandstifter, hier vor allem das burmesische Militär bzw. die neue Regierung unter Aung San Suu Kuyi, in die so viel Hoffnung gesteckt wurde sowie China, keinerlei Interesse. Den Menschen die hier leben wird das Land weggenommen. Gehen sie nicht, werden sie mit Gewalt vertrieben. Hier im Norden, ist die Lage noch verzweifelter als Nahe der Grenze zu Thailand. Hier sind die Menschen quasi eingekreist. Folgen sind also weiterhin Flucht und Vertreibung. Als IDP’s leben tausende überall verteilt im Shan Staat. Manche schaffe es ins Nachbarland Thailand, wo sie als Migranten etlichen Problemen ausgesetzt sind.
Oft fragt man uns: Ist denn euer Verein überhaupt noch notwendig, jetzt wo es in Burma eine demokratische Regierung gibt? Ich hoffe, ich konnte Ihnen einen kleinen Eindruck vermitteln, warum hier weiter Menschen fliehen. Vor allem aber davon, wie wichtig es ist die Strukturen zu unterstützen, die hier die Aufgaben übernehmen, für die bei uns selbstverständlich das Staat zuständig ist. Schutz, Ausbildung und Hilfe. Dagelassen habe ich ausser Holzspielzeug für die Kleinen vielleicht ein wenig Hoffnung, das man weit weg in Deutschland von ihnen hört und das Versprechen wieder zu kommen.